Barcelona – Die katalanische Metropole
Eine politische Landeskunde
DEPB-Studienseminar vom 01.11. bis 06.11.2021
Barcelona, an der Nordostküste Spaniens gelegen, ist heute eine dynamische Metropole mit ca. 1,6 Mio. Einwohnern. Ihre Gründung
verdankt die Stadt einer ehemaligen römischen Kolonie, die für römische Soldaten im Ruhestand errichtet worden war. Ehemals Barcino genannt, hatte die Siedlung zwischen dem 13. und 15.
Jahrhundert n. Chr. nur ca. 2.000 Einwohner.
Eine Stadt mit vielen Gesichtern
Gotisches Viertel
Das gotische Viertel, in dem sich auch unser vorzügliches Hotel Medinaceli befand, ist etwa vor 100 Jahren entstanden. Als gotisch wird es bezeichnet wegen seiner zahlreichen gotischen Kirchen.
Folgerichtig führte uns unsere erste Stadtführung durch dieses Viertel, angeführt von Resi Nickel, unserer kompetenten Reiseführerin.
Unsere Aufmerksamkeit wurde auf vielfältige Weise gefordert: Ob Spezialitäten der alteingesessenen Geschäfte, die engen Gassen mit ihrer ganz eigenen Geschichte oder aber die 1298 erbaute,
gewaltige Kathedrale. Dazu gab es immer wieder historische Hintergründe, über die sich ein besseres Verständnis für Spanien im Allgemeinen und das katalonische Barcelona im Besonderen
erschloss.
Anhand von Reliefs, z. B. an Kirchen, ließ sich die Rolle der Zünfte erahnen, die an der Finanzierung mit beteiligt waren, wohingegen jüdische Bürger keine Abgaben an Kirchen entrichteten,
sondern Steuern direkt an die Grafschaften zahlten. Dies mochte einer der Gründe sein, dass sie – durchweg gut ausgebildet, an hygienische Lebensweise gewöhnt und darüber hinaus
wirtschaftlich erfolgreich – sich den Neid der übrigen Bevölkerung zugezogen hatten, was zu Verfolgung und Vertreibung führte.
Innovatives Viertel / altes Industriegebiet
Der heute als innovatives Viertel bezeichnete Stadtbezirk ist aus einem alten Industriegebiet hervorgegangen. Die Stadt Barcelona hat sich intensiv um eine neue Struktur bemüht, indem private
Unternehmen mit attraktiven Konditionen gefördert in die Entwicklung eingebunden wurden. Mit der Vorgabe, zusätzlich zu der unternehmerischen Besiedelung auch 10% für Wohnen, 10% für öffentliche
Verwaltung und 10% für Grünflächen vorzuhalten, ist letztlich eine ausgewogene Struktur gelungen, die mit Recht als innovativ bezeichnet werden darf.
Gracia, Eixampel, Musikpalast
Gracia ist ein ehemaliges Arbeiterviertel, welches sich jedoch heute mit seinen Prachtstraßen, interessant gestalteten Plätzen und zahlreichen Geschäften in moderner Gestalt zeigt. Kirchen findet
man hier kaum, da sie – resultierend aus der Arbeiterviertelzeit mit sozialistischer bzw. anarchistischer Prägung – zum großen Teil abgerissen worden waren. Stattdessen ist in den
Geschäftsstraßen kein angesagtes Modelabel zu vermissen und die ausgefallenen, von
Antoni Gaudí gestalteten Bauten tragen das ihre zur Verschönerung bei. An Gracia grenzt der Stadtbezirk Eixampel, lt. Resi Nickel das Wohnzimmer der Gründerzeit. Und nachdem wir diesen durchschritten hatten, galt unser nächster Besuch dem katalanischen Musikpalast. Wir durften hier einen der schönsten und bedeutendsten Konzertsäle der Welt bestaunen. Gebaut von dem Architekten Lluìs Domenèch i Montaner, gilt das Bauwerk mit seinen Mosaiksteinen, bunten Glasstückchen und Blumenmotiven als prachtvolles Beispiel der „Modernisme“ in Katalonien.
El Born
Eine Wanderung durch das Labyrinth El Born zeigt wieder ein anderes Gesicht, mit Gebäuden, die teils aus dem 14. Jahrhundert stammen. Ehemals von Handwerkern bewohnt, besticht El Born heute
als Künstlerviertel mit Straßencafés und Modeläden. Besonders sehenswert sind die ehemalige Markthalle und die Kirche Santa Maria del Mar.
La Barceloneta
Das heute recht ansprechende Hafenviertel hat noch nicht lange seine heutige Gestalt. War es früher Zuflucht für die Ärmsten der Armen in baufälligen Hütten, so sieht man inzwischen eine
gefällige Bebauung rund um den Hafen, und der Strand lädt ein zu promenieren, bei gutem Wetter auch zu baden oder die dort aufgestellten Sportgeräte auszuprobieren.
Berühmtheiten der Stadt
Picasso
Auf verschiedensten Wegen in der Stadt begegneten uns Zeugnisse der Berühmtheiten, auf die Barcelona besonders stolz ist. Als einer der berühmten Söhne der Stadt gilt Pablo Picasso, der eine
Reihe seiner Jugendjahre in Barcelona verbracht hat. 1881 geboren, kam die Familie nach Barcelona, als der junge Pablo 13 Jahre alt war und bereits in diesem frühen Alter aufgrund seiner
überragenden Begabung an der Kunstakademie angenommen wurde. Dort blieb er bis zu seinem 18. Lebensjahr und wandte dann sein Interesse der Stadt Paris zu, in die er nach einigen Jahren des
Pendelns endgültig übersiedelte.
Gaudí
Einen prägenden Charakter hat für die Stadt vor allem Antoni Gaudí mit seinen eigenwillig schönen Gebäuden, die man nur bewundern kann. Sein Name wird außerdem in besonderer Weise mit der
„Sagrada Familia“ verbunden, des Gotteshauses, welches wie kein anderes als Wahrzeichen der Stadt Barcelona gilt. Der Ende des 19. Jahrhunderts begonnene Bau der durch Spenden finanzierten Kirche
ist bis heute nicht abgeschlossen. Gaudi hatte den Bau bis zu seinem Tod 1926 betreut, anschließend wurde nach seinen Plänen weiter gebaut.
Miró
Dem Künstler Joan Miró, ebenfalls ein Sohn der Stadt, ist ein Denkmal auf der sog. Rambla gewidmet. Diese prominente Straße in Barcelona hat ihren Namen von ihrer Lage: Rambla bedeutete vormals
„außerhalb der Stadt“, was allerdings heute nicht mehr zutrifft, seitdem die Stadtmauer erweitert worden war und die Rambla Teil der Stadt geworden ist.
Freixenet und Sitges
Zur angenehmen Abwechslung diente uns ein Ausflug zu dem Badeort Sitges, den wir nach einem Besuch der Sektkellerei Freixenet erreichten. Die Kellerei blickt auf eine etwa 100-jährige Geschichte
zurück und ist heute mit dem deutschen Unternehmen Henkel verbunden. Es soll nicht verschwiegen werden, dass wir nach der Führung durch die interessanten Keller und dem Gespräch über Produktion,
Vermarktungsstrategien und den Vorzügen des europäischen Binnenmarktes Proben des köstlichen „Cava“ im warmen Sonnenschein genießen durften. Ein eben solcher Genuss war die Erkundung des
Ferienortes Sitges, der sich uns in spätsommerlichem Wetter präsentierte und zum Schlendern in der Sonne einlud.
Politische Hintergründe und die Unabhängigkeitsfrage
Der letzte Tag war dem Besuch des Regionalparlaments vorbehalten, der damit die Besinnung auf die sehr heikle politische Unabhängigkeitsbestrebung Kataloniens einläutete.
Wenn man die katalanische Hauptstadt besucht, steht diese Frage immer im Vordergrund. Eingebettet in historische, kulturelle und wirtschaftliche Zusammenhänge, ist diese in den letzten
Jahren erstarkte Bewegung nicht leicht zu verstehen und noch schwieriger in Kurzform darzustellen.
Sicherlich ist die Tatsache, dass die Region bereits im 12. Jahrhundert das Statut einer unabhängigen Grafschaft besaß, nicht ohne Bedeutung, ebenso wie die Unterdrückung der regionalen
Besonderheiten während der Regierung durch Franko nach Beendigung des Bürgerkriegs in jüngerer Zeit. Die Zuspitzung des Konflikts mit der Zentralfigur Puigdemon eskalierte nach einem
Gerichtsurteil mit unglücklichen Konsequenzen.
Die spanische Verfassung garantiert den unterschiedlichen Regionen eine weitreichende Autonomie, die sie in eigenen Parlamenten ausformulieren können. Letztendlich werden diese Formulierungen
jedoch von der spanischen Zentralregierung genehmigt. Soweit wir erfahren konnten, war dies für Katalonien auch geschehen, mit den wesentlichen Forderungen: Freiheit der eigenen Sprache, eigene
Steuerhoheit sowie Freiheit des juristischen Systems. Unerwartet habe aber der spanische Präsident dagegen Einspruch erhoben und eine gerichtliche Klage angestrengt. Die nach drei
Jahren erfolgte Gerichtsentscheidung, in der einige Artikel der Regionalverfassung Kataloniens für nicht verfassungskonform erklärt wurden, rief einen Sturm der Entrüstung hervor und seitdem
konnte der Konflikt nicht gelöst werden.
In unseren Diskussionen mit unterschiedlichen Personen, sowohl im Regionalparlament (Frau Sevet, einer Abgeordneten, die aus dem Exil in Brüssel zurückgekehrt ist und derzeit auf freiem Fuß
lebt) als auch mit den Experten des letzten Abends Julia Macher (Korrespondentin für deutsche Printmedien), Marti Extruch Axmacher (Diplocat/Generalitat) und Oliver Wiethaus (Kreis
deutschsprachiger Führungskräfte) war es dennoch schwierig, Licht in diese Frage zu bringen. Wir haben verstanden, dass die katalanische Sprache eine wichtige Rolle spielt und die Rolle der
Finanzströme mit Zentralspanien offenbar nicht zufriedenstellend gelöst ist. Dazu kommt die Tatsache, dass die Gefängnisstrafen für die Mitglieder des Regionalparlaments als völlig überzogen
eingeordnet werden, und dies nicht nur von den Unabhängigkeitsbefürwortern, sondern auch von deren – eher gemäßigten – Gegnern. Puigdemon lebt seitdem im Exil, die in Spanien verbliebenen
Mitglieder des Regionalparlaments wurden inzwischen begnadigt.
Die zentrale Frage, wie eine politisch zufriedenstellende Lösung aussehen könnte, ist derzeit offenbar nicht zu beantworten. Als erste Maßnahme erwartet man in Barcelona, dass eine Abstimmung Pro
oder Contra Unabhängigkeit offiziell ermöglicht wird. Das letzte – für illegal erklärte – Referendum in 2017 sei ganz überwiegend für die Unabhängigkeit ausgefallen, jedoch mit einer
Wahlbeteiligung von nur 40%.
Ade Barcelona
Die Vielfalt an Informationen, die wir in diesen spätherbstlichen Tagen in Barcelona erhielten, wurde uns trotz der Corona bedingten Einschränkungen ermöglicht. Durch die zuverlässige Betreuung
von Dr. Jochen Buchholz und Raimund Allebrand sowie Resi Nickel genossen wir ein Höchstmaß an Information und Annehmlichkeit.
Dr. Brigitte Wesierski